Sonntag, 3. Dezember 2017

Hinter der Mauer



Foto: Aw

Er tut so als würde ihm nichts etwas ausmachen. Er tut auch so, wenn er mir gegenüber sitzt in unseren Stunden. Er ist stark und autonom. Er braucht niemanden. Die Anderen sind ihm sogar oft lästig. Manchmal regen sie ihn auf. Besonders, die, die ewig nur rumsitzen und jammern und nichts ändern wollen. Das regt ihn richtig auf, aber auch immer weniger. "Sollen die doch machen was sie wollen", meint er und dass er sich nicht mehr um andere kümmert. Er leistet sich Empathie nicht mehr. Er hat schlechte Erfahrungen gemacht mit seiner Empathie. Sie hat nichts geholfen, damals als er versuchte sie zu retten. Er meint die Frau, die er liebte und die sich selbst zerstörte mit dem Alkohol, von dem sie nicht lassen konnte. Seit damals hat eine Mauer um sich gezogen. Ich höre zu und denke, ich möchte einen Hammer und einen Meisel nehmen und die Mauer langsam und vorsichtig herunterklopfen, um ihn für sich selbst wieder erreichbar zu machen und für die Frau mit der er jetzt zusammen ist. Ich sehe den Mann hinter der Mauer, der fühlen will und mitfühlen will, der lieben und geliebt werden will und es sich selbst nicht mehr erlaubt.

Ich sage ihm, dass ich die Mauer und den Mann hinter der Mauer fühlen kann. Er wehrt energisch ab. Ihm gehe es gut so wie es ist. "Ich will mich nicht mehr ohnmächtig fühlen. Ich will nicht mehr so viel fühlen. Empathie macht verletztbar", sagt er. Ich spüre wie er versucht seine Unsicherheit wegzulächeln. "Ich habe mein Leben im Griff. Alles funktioniert. Alles gut. Naja, ich werde alt, darüber mache mir schon manchmal Gedanken, was sein wird, später." Aber er habe vorgesorgt und jetzt habe er ja auch genug Arbeit. Die sei ihm das Wichtigste. "Die Arbeit", sagt er, die beansprucht den ganzen Mann, da ist keine Zeit für etwas anderes". Die Beziehung sei ihm auch langsam zu anstrengend. Er sei lieber allein am Abend. Er gehe immer mehr in Distanz zu seiner Partnerin. "Sie merkt das schon, aber sie beklagt sich nicht", sagt er.  Er grinst verlegen. "Nein, ich will mich nicht mehr einlassen. Dass das nichts bringt, habe ich gelernt. Also wenn ich etwas in meinem Leben gelernt habe, dann das", kommt es im Brustton der Überzeugung.
Er mauert, auch hier in meiner Gegenwart mauert er. Ich sehe wie er mehr und mehr hinter der Mauer verschwindet. "Wenn alles gut ist, warum kommen sie dann zu mir ?", frage ich ihn.
"Na ja", antwortet er, "da ist diese Angst, sie kommt wenn ich einschlafen will, es ist als lege sich ein schwerer Stein auf meine Brust. Das Atmen fällt mir dann schwer und der Schweiß fließt mir aus allen Poren. Ich bekomme richtig Panik. Wenn ich dann endlich einschlafe habe ich Albträume. Am Morgen fühle ich mich nie ausgeschlafen."
"Was macht Ihnen Angst?", frage ich ihn.
"Das ist ja das Problem, ich weiß es nicht", antwortet er.
Ich denke an die Mauer, die ihn von allen trennt, außer vor der Angst. Sie tut ihm nicht gut, die Mauer, auch wenn er glaubt, sie sei sein Schutzschild gegen das Verletztwerden, das er meint niemals mehr aushalten zu können. Sie ist es nicht.
"Die Angst lässt sich nicht einmauern", sage ich und dass es einen Grund gibt, dass sie da ist, weil sie ihm etwas mitteilen will.
"Aber ich weiß nicht was. Sagen sie es mir", bittet er mich.
"Es nützt ihnen nichts, wenn ich es ihnen sage", erwidere ich.
"Aber, ich komme nicht drauf, also bitte sagen sie es mir, sie wissen es doch", sagt er.
"Es macht keinen Sinn, wenn ich es ihnen sage, es ist ihre Angst, die zu ihnen spricht. Ich würde nur vermuten können. Das ist nicht hilfreich", antworte ich.
Er schweigt, missmutig. Eine Weile ist es still.
Ich warte.
"Na ja, ist nicht schön so gar nichts mehr fühlen zu wollen. Und so viel Lebenszeit bleibt mir ja auch nicht mehr."
"Ja", antworte ich, "das will Ihnen ihre Angst sagen."



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